Trauermarsch für Gaza: Holocaustvergleiche und Verschwörungstheorien
Am 4. Oktober fand in Würzburg ein sogenannter »Trauermarsch für Gaza«, organisiert von zahlreichen Gruppierungen der antisemitischen Szene Würzburgs, statt. Ähnlich wie frühere Veranstaltungen war auch dieser Aufmarsch von offener Israelfeindlichkeit und massivem Antisemitismus geprägt. Im folgenden dokumentieren wir exemplarisch einige der antisemitischen Vorfälle auf der Kundgebung.
Nina Maleika: Rechte Verschwörungstheoretikerin
Nina Maleika ist eine rechte Verschwörungstheoretikerin, die bundesweit in der israelfeindlichen Szene aktiv ist. In den vergangenen Jahren trat sie unter anderem als Coronaleugnerin und in der rechtsextremen Szene auf, aber auch im Umfeld der islamistischen Gruppierung »Muslim Interaktiv«, eine inzwischen verbotene Tarnorganisation der Kalifatsbewegung Hizb ut-Tahrir. Auf Social Media zeigt sich Maleika mit T-Shirts mit dem rotem Dreieck, dem Symbol der Hamas zur Markierung israelischer Ziele.


In Würzburg hielt Maleika einen der ideologisch am schärfsten aufgeladenen Redebeiträge, setzte den jüdischen Staat wiederholt in direkte Beziehung zum Nationalsozialismus: Sie behauptete, die israelische Regierung wende »Nazimethoden« an, bediene sich »Nazisprech« und wiederhole in Gaza »Methoden aus der Nazizeit«. Zuletzt wurde sie im Juni 2025 wegen NS-Vergleichen, antisemitischer Parolen und der Verwendung verbotener Hamas-Symbole zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt.
Den Zionismus – also die Unterstützung des völkerrechtlich verbrieften Rechts des jüdischen Volkes auf politische Selbstbestimmung – stellt Maleika ganz im Sinne klassisch antisemitischer Verschwörungstheorien als ultimativ böse, fremde und manipulativ agierende, globale Macht dar: »Zionistische Strukturen« hätten sich in Deutschland in den »wirtschaftlichen und politischen Strukturen manifestiert«5, und Zionismus sei »gefährlich für die ganze Welt«.
Explizit spricht sich Maleika gegen eine friedliche Koexistenz mit dem jüdischen Staat aus: Sie sei gegen die Zweistaatenlösung, denn »das Land gehört den Palästinensern« und fordert eine »Einstaatenlösung« unter palästinensischer Herrschaft. Damit propagiert sie ein Modell, welches die (nur gewaltvoll realisierbare) Zerstörung Israels als jüdischer Staat impliziert. In einer zweiten Rede bekräft Maleika: »Israel hat sich sein eigenes Grab geschaufelt. Es ist nur eine Frage der Zeit.«

Maleikas Beitrag verbindet damit mehrere zutiefst antisemitische Elemente: die Relativierung und Instrumentalisierung der Shoah durch massive NS-Vergleiche, die Dämonisierung Israels, verschwörungsideologische Zuschreibungen »zionistische« Kontrolle und eine eliminatorische Rhetorik gegenüber dem jüdischen Staat. Ihr Auftritt gehörte zu den prägnantesten Beispielen antisemitischer Hetze auf der Veranstaltung.
Furkan Er: Holocaust-Vergleiche und Täter-Opfer-Umkehr
Als weiterer Redner trat Furkan Er auf. Als Mitglied der sogenannten »Juristen gegen Genozid« trat in der Vergangenheit unter anderem bei der vom baden-würtembergischen Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachteten, islamistischen Organisation »Zaytouna« als Redner und Referent auf.
In seiner Rede am Würzburger QR-Platz bezeichnet Er Israels Vorgehen mehrfach als »Holocaust«, spricht davon, Deutschland finanziere »einen zweiten«. Er beklagt die strafrechtliche Verfolgung von Antisemitismus in der israelfeindlichen Szene durch den deutschen Staat. Diesen stellt er in einer klassisch antisemitischen Verschwörungstheorie als vollständig durch die »Zionisten, die leider auch der [deutsche] Staat sind« gesteuert dar. In einer Steigerung seiner dieses Motivs behauptet er, Deutschland könne »noch 10.000 Holocausts« begehe, man werde dennoch »jedes Mal hier stehen«. Deutschland sei »immer noch« ein Land von »Nazis«.

In einem Videobeitrag vom 24. November bekundet Er lautstark vor einer Menschenmenge seinen Verachtung für den jüdischen Staat: Israel habe kein Existenzrecht, es existiere nicht. Anschließend brüllt er lautstark in die Menge: »There is only one state, Palestine 1948!«. In der Caption ergänzt Er, er stehe für »Widerstand« eine »Einstaatenlösung« und ein »geeintes Palästina«. Das Video veröffentlichte Furkan Er gemeinsam mit der israelfeindlichen Gruppierung »Muqawama NRW«. Die Bezeichnung Muqāwama (wörtlich: Widerstand) dürfte eine kaum verhohlene Anspielung auf die arabische Bezeichnung der islamistischen Terrororganisation Hamas, Harakat al-Muqawama al-Islamiya, sein: Im arabischen Sprachgebrauch wird »Muqāwama« als positiv-legitimierender Begriff für den permanenten bewaffneten Kampf gegen den jüdischen Staat verwendet und steht in weiten Teilen synonym für die Terrororganisationen Hamas (al-muqāwama) und ihre Kämpfer (muqāwimūn).

Ahu Yildirim: Dämonisierung, Verschwörungsdenken und Selbstviktimisierung
Ahu Yildirim gehört zu den etablierten Akteurinnen der Würzburger antisemtiischen Szene. Es existieren dokumentierte Fälle judenfeindlicher Äußerungen Yildirims: In zwei Beiträgen verbreitete sie die Behauptung, Juden würden unter Synagogen rituelle Kindermorde durchführen, um deren Organe zu rauben. In einem weiteren Beitrag behauptete sie, dass die jüdische Rothschild-Familie ein »Satanskult« sei, der Regierungen, Banken und Medien durch Geheimgesellschaften beherrsche. Die Aussagen führten unter anderem zu einer Hausdurchsuchung und einem (inzwischen gegen Auflage eingestellten) Strafverfahren gegen Yildirim.
In ihrer Rede konstruiert Yildirim die israelfeindliche Szene zum Opfer einer angeblich systematischen Verfolgung. Dabei raunt sie verschwörungstheoretisch von »einflussreichen Kreisen, […], die jede solidarische Stimme mit dem Vorwurf des Antisemitismus ersticken wollen.« Diese säßen »im Rathaus, in Stadträten, in Parteivorständen, in der Presse«.

Ihren Aktivismus begründet die erklärte Muslimin religiös, indem sie aus islamischer Theologie (»Begegnet Bösem stets mit Gutem«) eine moralische Selbstvergewisserung ableitet, die ihre antisemitischen Äusserungen als gerechtfertigten Widerstand erscheinen lassen. Diese Kombination aus Dämonisierung Israels, Diffamierung antisemitismuskritischer Organisationen, und der Versuch, eigene politische Konsequenzen in eine Opferrolle umzudeuten, ist typisch für antisemitische Selbstviktimisierung.

Gaza als billige Projektionsfläche für Antisemitismus
Von einer weiteren Rednerin wurde Gaza in ebenfalls stark emotionalisierendem Ton zu einer mythisch aufgeladenen Figur stilisiert. Sie spricht Gaza als eigenständiges, leidendes Wesen an (»Wenn Gaza sprechen könnte, würde es vielleicht sagen (…)«) und legte diesem eine lange Sequenz poetisierter Selbstbeschreibungen in den Mund: »Ich bin die Wiege (…) ich bin das Grab (…) ich bin der Hunger (…) ich bin die Asche (…) ich bin die Tränen (…)“. Diese Form der Personifizierung erhebt Gaza zu einem kollektiven Märtyrer-Subjekt und verleiht dem Leid eine quasi-sakrale Bedeutung.
Mit sentimental überfrachtetem Ton malt sie ausufernde, dramatisierte Bilder eines unschuldig-kindlichen Leidens aus und klagt von »kleinen Händen, die reglos aus dem Staub ragen«, von »Bäuchen, aufgeschlitzt und leer« und von verzweifelten Müttern. Die Fixierung auf das Bild des Kindermörders Israel ist in der Szene weit verbreitet: Bereits auf einer früheren Kundgebungen spielte beispielsweise Ahu Yildirim theatrales Kinderweinen über eine Lautsprecheranlage ab; auf mehreren Kundgebungen wurden in Leichentücher gehüllte Kinderpuppen zur Schau gestellt. Solche Inszenierungen zielen nicht auf eine rationale Auseinandersetzung, sondern auf emotionale Reize, gefühlsgeladenen Kitsch, affektive Empörung und maximale Identifikation. Und sie knüpfen nicht selten an das klassisch antisemitische Mobilisationsmuster des jüdischen Kinderfressers an.
Zugleich blendete die Rede jede Rolle der Hamas vollständig aus. Weder das Massaker vom 7. Oktober oder die brutale Herrschaft über und systematische Instrumentalisierung der Zivilbevölkerung durch die Hamas werden mit einem Wort erwähnt. Stattdessen wird der Konflikt auf ein ausschließlich von Israel verursachtes Leid reduziert und rekonstruiert Gaza als einen Ort reiner Opfer, wodurch ein moralisch stark aufgeladener und für Antisemit*innen psychologisch attraktiver Gegensatz entsteht: Absolute Unschuld auf der einen Seite, absolute Täterfigur auf der anderen.
Westliche »Palästinasolidarität«: Eskalation statt Frieden
Derweil läuft bereits die Mobilisierung für die nächste antisemitische Kundgebung unter dem Motto »Waffenruhe heißt nicht Freiheit«. Zu den aufrufenden Gruppen gehören erneut Students for Palestine Würzburg, Free Palestine Würzburg und Queers for Palestine Würzburg – Zusammenschlüsse, die in der Vergangenheit immer wieder durch virulenten Antisemitismus, durch die Leugnung sexualisierter Gewalt der Hamas, durch die Verbreitung extremistischer Symbolik aus dem Umfeld von Hamas und PFLP sowie durch offen israelfeindliche Kriegsrhetorik aufgefallen sind.
Auffällig ist, dass diese Gruppen in einem Moment zu neuen Protesten aufrufen, in dem international weitgehend Konsens über die Notwendigkeit eines stabilen Waffenstillstands besteht. Die Parole »Waffenruhe heißt nicht Freiheit« markiert dabei eine bewusste Absage an politische Vermittlungsansätze. Sie verweist auf eine Szene, die die permanente Konfliktfortführung als identitätsstiftendes Element nutzt und ein Ende des Konflikts vor allem deshalb fürchtet, weil es ihrer ideologischen Mobilisierung die Grundlage entziehen würde.
Während große Teile der unter dem von der Hamas ausgelösten Krieg leidenden Zivilbevölkerung Gazas seit langem aufatmen können – weil sie die Möglichkeit erhalten, in ihre zerstörten Häuser zurückzukehren, ihre zerschlagene Lebensrealität zu ordnen und eine Perspektive auf einen Wiederaufbau ohne die Herrschaft der Hamas sichtbar wird -, rufen westliche Antizionisten*innen weiter zum »Widerstand« und zur Fortsetzung des Kampfes auf.
Das schreckliche Leid der Menschen in Gaza wird dabei einmal mehr zur billigen Projektionsfläche instrumentalisiert.